IM STEIN

Leseprobe

Im Inneren der Brennerei im Bächental ist es dunkel. Es riecht nach - ja wonach eigentlich? Ein wenig nach Schwefel – und sonst? Ein ganz eigener Geruch. Steinöl eben, unverwechselbar. Tropfen für Tropfen sammelt es sich in einem schwarzen Bottich. Kaum mehr vorstellbar: Noch vor ein paar Stunden war die dunkelbraune, zäh tropfende Flüssigkeit Teil des Gesteins. Jedes Gramm Öl, das später zu Salben und Heilmitteln verarbeitet wird, ist ihm abgetrotzt.

Die Halde liegt ein Stück oberhalb der Brennerei. Dort baut man den Ölschiefer, der zwischen Kalkschichten in einem Winkel von 45 Grad in den Berg hineinläuft, über Tag ab. Der Fels wird angebohrt, gesprengt und in kleinere Stücke zertrümmert und dann mit einer Materialseilbahn gut 70 Meter nach unten gebracht. Er landet in der Vorratsrutsche und wird schließlich mit der Hand oder mit Hilfe eines kleinen Baggers in die drei Schachtöfen manövriert. Das Schwelen beginnt, wie es in der Sprache der Bergleute heißt, ein Prozess ähnlich dem des Schnapsbrennens: Der zerkleinerte Schiefer wird kalt eingefüllt, rutscht in den immer wärmer werdenden Bereich und erreicht irgendwann eine Temperatur zwischen 350 und 450 Grad. Dann gast er aus, wie man sagt. Er setzt dabei das Ölgas frei, das sich in den Kondensationstürmen wieder verdichtet und in die Bottiche tropft. Dort wird es gefiltert und gereinigt, ehe man es in Fässer füllt und in den Veredelungsbetrieb nach Jenbach transportiert.

Viel anders ist es auch in früheren Jahrzehnten nicht gemacht worden. Die Gewinnung von Steinöl ist ein schwieriges, Kräfte zehrendes Unternehmen geblieben. Alle anderthalb Stunden werden die Öfen neu beschickt. Zwei bis drei Knappen arbeiten im Schichtbetrieb, Tag und Nacht, bei jedem Wetter. Strom wird selbst erzeugt, jede Maschine gleich vor Ort repariert: Wer im hinteren Bächental arbeitet, sollte sich zu helfen wissen. Handys, um Hilfe zu holen? Funkstille, kein Netz. Es ist einsam hier oben. Die Knappen, die in einem kleinen Haus in der Nähe der Brennerei untergebracht sind, kommen oft wochenlang nicht ins Tal. Man muss gut mit sich selbst sein – und mit dem Berg.

Susanne Schaber ©