VERGESSENER VÖLKER MÜDIGKEITEN

Friedhöfe in den Kronländern der ehemaligen k.u.k. Monarchie

Manche sind so klein, daß nur ein Dutzend Tote Platz finden, andere so riesig, daß man sich in ihnen verläuft. Manche sind verfallen und unter einem Dickicht von Efeu und Waldreben verborgen, andere eitel herausgeputzt. Und wieder andere sind überhaupt nicht mehr zu finden - aufgelassen, zerstört oder verschwunden.

Friedhöfe im östlichen und südöstlichen Mitteleuropa, in den Kronländern der ehemaligen k.u.k. Monarchie. Entdeckungen jenseits der wieder häufiger befahrenen Touristenrouten. Kaum ein Reiseführer, der Friedhöfe auflistet, kaum eine Stadt, die mit ihren Nekropolen wirbt. Und das, obwohl sich in den Friedhöfen von Lemberg, Budapest, Czernowitz oder Sarajewo Gräberlandschaften ausbreiten, die ihresgleichen suchen: prächtige Parks mit Skulpturen, Grüften, Sarkophagen und Grabhäusern unter ausladenden Bäumen, verwachsene Waldstücke mit jüdischen Grabsteinen, die immer tiefer im Boden versinken. Islamische Nisans, wie Halme nebeneinander stehend, hölzerne Grabkreuze in Siebenbürgen, die sich in offenen Feldern verlieren und dort vermorschen, die verwundeten Steine am jüdischen Friedhof von Sarajewo, der im Bürgerkrieg als Kampflinie gedient hat: Von hier aus wurde die Stadt beschossen.       

Cmentarz, Cimitero, Temetö, Groblje, Lechguarten, Cimitir, Cintorín, Hrbitov. Die Sprachen umspannen Landschaften, die eine Vielfalt von Völkern und Religionen, aber auch Todesritualen beherbergen: Siebenbürgen, Kroatien, Slowenien, die Slowakei, Tschechien, Bosnien-Herzegowina, Polen, Ungarn, der Nordosten Italiens, die Ukraine. Ein riesiges Gebiet, heute aufgeteilt auf zehn verschiedene Staaten. Sie alle verbindet, daß sie sich im 19. Jahrhundert zeitweilig unter der habsburgischen Kaiserkrone zusammengefunden haben. Der Begriff „Kronländer“ umfängt diese Gegenden trotz mancher historischer Unschärfen vielleicht noch am besten.

„Eine Welt ohne Jahre“, wie es bei Elias Canetti heißt. Die Friedhöfe zwischen Prag und Brünn, Hermannstadt und Krakau fallen aus der Zeit. Ihr Uhrwerk läuft anders. Unerbittlich allemal. 

Susanne Schaber ©